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Dobrudscha-Reise (2015)

Die VIII. Studienreise der DRG Berlin fand vom 5. bis zum 15. September 2015 statt. Die südöstlichste Region Rumäniens, mit knapp 16.000 qkm etwa halb so groß wie Brandenburg, liegt an einer besonders exponierten Stelle der EU. Nahe der jetzt russischen Krim kommt ihr eine neue geostrategische Bedeutung zu, gleichzeitig ist sie wirtschaftlich schwach entwickelt und sehr ländlich geprägt mit Ausnahme von Constanţa und des touristischen südlichen Küstenabschnitts.

Die Dobrudscha, Rumänisch Dobrogea und Bulgarisch Dobrudža wird auf 370 km von der Donau umflossen, hat 250 km Küste am Schwarzen Meer und eine 150 km lange Landgrenze zu Bulgarien / Süddobrudscha. Die Bevölkerung der dünn besiedelten Region ist seit zwei Jahrzehnten stark rückläufig und liegt bei unter 0,9 Mio. Gleichzeitig hat sich die Region ethnisch gesehen seit der Übernahme durch Rumänien 1878 immer stärker rumänisiert. Aber auch heute gibt es größere Minderheiten von Muslimen, etwa 5 % der Einwohner die sich in Türken und Tataren unterteilen. Im Norden, besonders im und nahe dem Donaudelta sind die russischsprachigen Lipowaner vertreten, regionsweit kommen dann noch kleinere Gruppen wie Aromunen, Roma, Griechen, Araber, Juden u.a. hinzu.

Der Fahrer Gheorghe Neagu erwartete uns mit seinem älteren aber bequemen Bus am Flughafen Otopeni. Etwa zweieinhalb Stunden östlich von Bukarest konnten wir dann die Donau über die 1970 erbaute 1.500 m lange Donaubrücke, die letzte vor der Mündung, queren und erreichen damit die Dobrudscha. Ein erster Halt wurde in Hârşova eingelegt. Durch das nationalkommunistische Programm der „Systematisierung“ in den 1980er Jahren wurde die gesamte kleine Altstadt, bis dahin auch „varos“ – aus dem Ungarischen „Stadt“ und wegen der vielen Verbindungen und Schäfer aus Siebenbürgen so genannt – zerstört.
Wir besuchten die alte Moschee und gingen zur Donau hinunter, um den Strom in seiner ganzen Breite zu sehen. Auf hohen Ufer lag hier in herausgehobener Lage die römische, später dann byzantinische und noch später osmanische Burg Carsium – heute in Ruinen – die an dieser leicht zu querenden Donaufurt die Dobrudscha schützte. Hârşova, sehr nahe dem traditionellen Donauübergang Vadu Oi (Dt.: Schafsfurt) bildete für lange Zeit die Hauptübergangsstelle für Schafherden aus Siebenbürgen und Muntenien, die zur Winterweide im Rahmen der Transhumance in die Dobrudscha kamen. Nach Querung der Ciucurova – Hügelkette erreichten wir Tulcea. Hier waren wir im guten Hotel Esplanade untergebracht, das direkt am Donauufer und der Uferpromenade liegt.

Der Kreis Tulcea, der östlichste Kreis Rumäniens, ist von der Fläche her der drittgrößte Kreis des Landes, von der Einwohnerzahl aber einer der kleinsten mit starkem Verlust an Einwohnern seit 1990 wegen der äußerst schwachen Wirtschaftsstruktur. Mit 23 Einwohnern je Quadratkilometer ist es der am dünnsten besiedelte Kreis des Landes.

Der Sonntag gehörte der Erkundung der Stadt Tulcea mit ihrem Stadtzentrum, den vielen Kirchen, der Moschee und der Synagoge. In der nach längerer Renovierungszeit gerade frisch eröffneten Synagoge wurden wir von Herrn Faimblatt dem Präsidenten der Gemeinde begrüsst. Nachmittags führte der Weg zum Deltamuseum (Rumän.: Centrul Muzeal Eco – Turistic Delta Dunării / ICEM) mit sehenswerten Ausstellungen zum Delta und sehr guten Aquarien im Kellergeschoss.

Von dort aus ging der Weg zum Unabhängigkeitsdenkmal mit dem hohen Granitobelisken auf einem markanten Hügel am östlichen Stadtrand gelegen. Der Aufstieg lohnte sich wegen des Überblicks über die Stadt und auch des weiten Blicks in das Delta hinein. Auf dem Hügel liegt auch das gute Archäologische Museum. Tulcea hatte – wie fast alle Städte Rumäniens – in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten eine stark rückläufige Einwohnerzahl von ca. 100.000 zur Wendezeit bis auf ca. 70.000 Einwohner.

Von Murighiol nahe dem St.-Georgs-Arm fuhren wir am Montag ins Donaudelta. Herr Tavi und Crew erwarteten uns mit drei Motorbooten. Die Wetterbedingungen und Sicht waren optimal. In einer berauschenden vierstündigen Exkursion führten uns die drei Männer durch Kanäle, den breiten St.-Georgs-Arm und die Seen Uzlina und Isac. Von den über 300 Vogelarten des Deltas konnten wir einen kleinen Teil, darunter auch Pelikane, sehen. Hier und da waren Fischreusen aufgestellt. Die Weite, die besondere, üppige Vegetation und mannigfaltige Tierwelt sowie die innige Verwobenheit von Wasser und Land gaben einen herrlichen Einblick in diese ganz besondere, abgelegene und eigenartige Welt.

Das früher auch von deutschen Siedlern bewohnte Malkotsch/Malcoci besuchten wir am Nachmittag. Malcoci war die erste eigenständige Siedlung der frühen Einwanderungsphase im Norden der Dobrudscha. Ab 1840 verließen viele Bessarabiendeutsche ihre bisherigen Dörfer wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten und der Konskription in die russische Armee. Insgesamt sollten etwa 40 deutsche Siedlungen entstehen, meist als neue Ortsteile bereits bestehender Dörfer. Die eingefallene Kirche von Malcoci, deren Turm und Außenmauern noch stehen, soll in dieser „fast verfallenen“ Art konserviert werden und würde damit beredtes Zeugnis einer vergangenen Epoche ablegen – wurden die Dobrudschadeutschen doch 1940 zwangsausgesiedelt.

Am nächsten Tag stand die Umrundung des Măcin – Gebirges auf dem Programm. Bei hochsommerlichem Wetter erreichten wir Niculiţel. Leider konnten wir die Krypta die 1971 entdeckt wurde und in der Relikte vier frühchristlicher Märtyrer vom Anfang des 5. Jh. entdeckt wurden, nicht besuchen, da die ganze Anlage aktuell im Ausbau zum Besucherzentrum ist. So fuhren wir weiter zum rumänisch – orthodoxen Kloster Cocoş (Dt.: Hahn), einer Pilgerstätte, in dem sich inzwischen die verehrten Relikte aus der Krypta von Niculitel befinden.

Danach statteten wir der Kleinstadt Isaccea einen Besuch ab. Diese Stadt besitzt eine äusserst wechselvolle Geschichte, die vor allem wegen der hier sehr guten Möglichkeit die Donau zu queren zustande kam. Zumeist gehörte der Ort zum Bulgarischen, Byzantinischen und seit Beginn des 14. Jh. zum Osmanischen Reich – so wie die übrige Dobrudscha – bevor sie 1878 im Vertrag von Berlin zu Rumänien kam. Fast alle der elf russisch – türkischen Kriege bis zum 19. Jh. rollten auch über diesen Ort hinweg. Der Strom verläuft hier kompakt und auf beiden Seiten mit festem Ufer und direktem Zugang zum Hinterland. Heute ist in Strommitte die Staatsgrenze zur Ukraine und damit die EU – Aussengrenze. Im Zentrum des Ortes wieder eine Moschee. Unser kurzer Besuch am Hafenanleger Isaccea zeigte, daß hier ab und zu lediglich einige Baustoffe wie Schotter und Sand verladen werden.
Danach kamen wir zu den Ruinen der früher stark befestigeten Siedlung Dinogetia des römisch – später dann byzantinischen Limes beim Dorf Garvăn. Wir entschlossen uns noch bis zum nördlichsten Zipfel der Dobrudscha, dem Fähranleger nach Galaţi / Galatz zu fahren. So sahen wir diese Grossstadt im weiten Panorama vom südlichen, gegenüberliegendem Ufer aus.

Über die Kleinstadt Măcin mit ihrem neueren Weinanbaugebiet, kamen wir den Bergen näher. Schön kam die westliche, karg – trockende Seite der bis 467 m hohen Măcin – Berge in Sicht. In den höher gelegenen Bergebieten findet sich der neuangelegte Măcin – Nationalpark mit einer reichhaltigen Flora und Fauna. Er wird inzwischen auch von markierten Wanderwegen durchzogen.

Nächstes Ziel war Greci, ein Dorf mit im 19. Jh. angesiedelten italienischen Steinmetzen die hier Granit bearbeiteten. Es gelang es uns nach kurzer Suche Frau Borro zu finden. Sie verwaltet die Kirche und pflegt aktiv die italienische Kultur und Sprache. Nur ganz wenige der einst weithin berühmten Steinmetze dieses ausgedehnten Dorfes sind heute übriggeblieben. Liebevoll wird die katholische St. Lucia Kirche gepflegt die wir kurz besuchten. Davor rappelte ein Pferdewagen mit einer fahrbaren Dorf – Schnapsdestille vorbei.

Hinter Greci erreichten wir auf nichtasphaltierter Makadampiste, die an markanter Stelle hoch auf dem Steilufer der Donau liegenden Relikte der römischen Limesfestung Troesmis und genossen ein besonderes Donaupanorama.

Als letztes Dorf konnte an diesem Tag noch Atmadscha / Atmagea besucht werden, tief im Inneren der Dobrudscha gelegen und von bewaldeten, wenig fruchtbaren Bergen und Tälern umgeben. Dieses sich schon seit längerer Zeit stark entsiedelnde Dorf mit vielen verfallenden Hofstellen war das erste Siedlerdorf der Deutschen ab 1840. Die kleine, mehrfach umgebaute Kirche kündet noch von besseren Zeiten. Die völlig periphere Lage dieser Gegend war hier überdeutlich zu spüren. Frau Samietz erläuterte uns wesentliche Teile der Dorfgeschichte.

Über Agighiol kamen wir in das ausgedehnte Lipowaner – Dorf Sarichioi am Razim – See, einem großen Brackwassersee. Bei der buntbemalten Lipowanerkirche hatten wir das Glück, daß der freundliche Pfarrer nach kurzer Zeit kam und viele Fragen zur Kirche, Gemeinde und dem Ritus beantwortete.
Neben dem Dorf Enisala (vom Türk.: Yeni Sale Dt.: Neues Dorf) steht die gleichnamige

Burgruine. Auch Ceatatea Heracleea genannt, überragen diese bis zu tausend Jahre alten Mauern, und Basteien bizarr die weitläufige, karge Steppenlandschaft. Zunächst byzantinisch, dann walachisch und im 14. Jh. von den Genuesen weiter ausgebaut, wurde die Anlage schließlich ab 1421 über Jahrhunderte osmanisch beherrscht. Hier wird an der touristischen Erschließung mit Erfolg gearbeitet.

Danach besuchten wir die Kleinstadt Babadag (Türk.: Babadağ, Dt. etwa: Berg des Baba). Dieses Städtchen war über Jahrhunderte und bis vor wenigen Jahrzehnten ganz überwiegend türkisch geprägt. Seit dem 13. Jh. siedelten sich hier Türken an. Es war eine Wegestation auf dem Weg nach Tulcea und zur Donau. Seit langer Zeit ist sie ein muslimisches Pilgerzentrum wegen der Türbe (Muslim. Mausoleum) des Derwischs Baba Sari Saltik. Heute wird dieses Heiligtum auch von Orthodoxen verehrt und besonders die zunehmende Zahl der Roma interessiert sich für den Islam. Der Hodscha öffnete er das alte Gotteshaus (16. Jh. erbaut) und zeigte uns kunstvolle Kalligrafien der heiligen Texte. Der aus der Türkei stammende Geistliche sprach nur gebrochen Rumänisch.

Kurz vor Histria erreichten wir den Kreis Constanţa. Es ist einer der grösseren und einwohnerstarken Kreise des Landes und – in den Städten – erheblich stärker industrialisiert und auch mit stärkerer landwirtschaftlicher Produktion als der Kreis Tulcea.

Die Relikte der ab dem 8. Jh. v. Chr. besiedelten grossen griechischen Kolonie Histria, der berühmtesten und meistbesuchten archäologische Stätte der Dobrudscha, nehmen ein großes Areal ein. Seit 100 Jahren wird hier immer wieder ausgegraben und viele wertvolle Fundstücke aus der griechischen und der darauffolgenden römischen Epoche sind im nebenliegenden Museum ausgestellt.

Danach kamen wir durch das Dorf Tariverde – früher auch mit dobrudschadeutscher Bevölkerung – nach Kogealak / Cogealac. Vor der Kirche steht hier ein Gedenkstein in Erinnerung an die dobrudschadeutsche Besiedlung. Die Kirche von 1907 wurde vom bedeutendsten protestantischen Kirchenbaumeister im deutschsprachigen Raum im 20. Jh., Otto Bartning (1883 – 1959) erbaut und ist fast unverändert erhalten. Sie wird durch die orthodoxe Gemeinde des Ortes genutzt.

Abends erreichten wir Constanţa / Konstanza, Türk.: Kustendji, wo wir für fünf Nächte im zentrumsnahen Hotel Ibis unterkamen. Constanţa, die mit Abstand größte Stadt der Dobrudscha und mit ca. 300.000 Einwohnern eine der grössten Stadte Rumäniens – manchmal auch wegen des Hafens als „Rumäniens Tor zur Welt“ beschrieben – macht, je mehr man sich dem Zentrum nähert, einen durchaus desolaten Eindruck. Die Stadtverwaltung funktionierte in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten nur eingeschränkt.

Einen definitiv anderen, aktiven und gut organisierten Eindruck als die Stadt macht der Hafen. Hier empfing uns Frau Horovei, PR – Frau der Hafenverwaltung, im Gebäude der Hafenbehörde und erläuterte uns Geschichte, Gegenwart und geplante Entwicklung des weiteren großzügigen Hafenausbaus anhand von großen und übersichtlichen Plänen. Nach ihrer Meinung kann der Hafen für Ostmitteleuropa – bis hin nach Deutschland – immer besser genutzt werden und wird an Bedeutung gewinnen in der Verbindung Europas mit dem Schwarzmeerraum, dem kaspischen Raum und Zentralasien (Projekt Revitalisierung der Seidenstrasse). Eine wichtige Rolle spielt dabei der 1986 unter Ceauşescu fertiggestellte Donau – Schwarzmeer – Kanal. Wie erst nach der Reise zu erfahren war, wird die Kapazität des Hafens derzeit nur etwa zur Hälfte genutzt. Dies würde auch unserer Beobachtung entsprechen, bei mehrfacher Querung kaum Schiffe gesehen zu haben.

Nach dem Hafen besuchten wir markante Punkte der Altstadt. Das immer mehr verfallende Casino, einst glänzendes Jugendstil – Wahrzeichen der Stadt, die Hafenpromenade mit dem Genuesischen Leuchtturm und die Karl I. – Moschee, ein Geschenk des Königs an die Muslime von 1912. Von ihrem Minarett aus bot sich ein guter Überblick über Innenstadt und Hafen. Danach erwartete uns Frau Cornea im grossen, prächtigen Gebäude des Geschichts- und Archäologiemuseums am zentralen Ovid – Platz zur Vorstellung der Forschungen über Zeitgeschichte und Zwangsarbeit am Kanal mit anschließender Diskussion. Das intensive Gespräch wurde von Frau Lahni sehr engagiert übersetzt. Danach trafen wir im Deutschen Forum Frau Czernak die einen Überblick über die kleine Gemeinde und ihre kulturellen Aktivitäten sowie die Bildungsarbeit gab.

Am folgenden Tag, dem „Küstentag“,durchquerten wir zunächst fast sämtliche bekannten Badeorte an der 70 km langen rumänischen Schwarzmeer – Badeküste, dem Litoral. Große, scheinbar planlos zugebaute Areale wechseln mit Hochhaus – Hotels, hier und da großzügige gepflegte und auch schöne Ferienanlagen. Einen Halt legten wir in Costineşti ein. Ein breiter Strand lädt hier zum Baden. Ansonsten ist die Architektur und Anlage dieses auch „zugebaut“ wirkenden Ortes nicht besonders ansprechend. Mit Mangalia trafen wir dann auf eine quirlige, mittelgroße Stadt mit neuem Freizeit- unf Yachthafen und weit ins Meer ausgreifenden Molen. Die Moschee von 1575, das älteste in Funktion befindliche Gebäude der gesamten Region, eingebettet in eine parkartige Umgebung und mit dem Friedhof mit z.T. jahrhundertealten Grabdenkmälern bildet eine Oase der Ruhe und Gelassenheit in der Stadt. Vielleicht steht dies symbolhaft für das ruhige und gelassene Nebeneinander der muslimischen und christlichen Gruppen der Dobrudscha.
In Vama Veche findet sich der „alternativste“ Ferienort Rumäniens überhaupt. Der breite Strand und das flache Meer wirken schon – zumindest optisch – beinahe subtropisch. Abgesehen vom Meer und dem unmittelbaren Strandbereich selbst, übte die gesamte Bebauung des Küstenstreifens keine besondere Attraktivität aus.

Zum Auftakt des „Tages am Donau – Schwarzmeer – Kanals“ hielt Dr. Köpernik ein Referat zur Geschichte und Entstehung dieses gewaltigen Bauprojektes von 1949 – 1955 und dann von 1976 bis zur Fertigstellung 1986. Der erste Punkt den wir in Murfatlar – bis 2007 Basarabi genannt – besichtigten, war von der Brücke aus das hier beeindruckend tief – über 60 m – in die Tafellandschaft der Dobrudscha eingeschnittene Kanalbett. Zu Fuß gingen wir bis zum Eingang des – seit Jahren verriegelten und nicht besuchbaren – Höhlenkomplexes von Basarabi in dem sich mehrere sehr alte kleine Höhlenkirchen, u.a. mit alten Schriftzeichen in einem halben Dutzend Schriften, darunter auch Glagolitika befinden.

Auf einen etwas höher liegenden Plateau kamen wir zum „Kloster aller rumänischen Heiligen“ bei Nazarcea am Nordarm des Kanals. Eine Nonne mit charismatischer Ausstrahlung, empfing uns als ob sie auf uns gewartet hätte. Sie führte uns in die provisorische Kirche des im Aufbau befindlichen sehr großen Klosters. Nachdem wir ihrem Befehl des Nierdekniens nicht folgten versuchte sie uns mit Worten von ihrer Lesart der Orthodoxie als einzig richtiger Relgion zu überzeugen. Kurz darauf kam ein Trupp Arbeiter, der, wohl aus Neugier um die fremde Touristengruppe zu sehen, dann in der Kirche zunächst die obligatorische Bekreuzigungsrunde gedreht hatte und dessen Wortführer mit kräftigen Worten der Nonne ins Wort fiel. Es stellte sich heraus dass es sich um Freiwillige handelte, die aus Patriotismus und zur „moralischen Wiederaufrichtung der rumänischen Nation“ in ihrer Freizeit beim Bau des Klosters halfen. Wortgewaltig sollten wir in Kürze von der Richtigkeit ihres Anliegens überzeugt werden. Dann zeigte uns die Nonne auf der weiten Fläche noch den Grundstein für die der Hagia Sophia in Istanbul nachempfundene entstehende große Klosterkirche sowie eine weitere Ausbaggerung für einen See mit den Landkartenumrissen Rumäniens, der ihren Worten nach vom „Himmel aus zu sehen“ sein soll. Sie wies uns noch auf hier aufgestellte große Fotos von Arsenie Boca hin, ein 1989 verstorbener Mönch, der zeitweilig gar Mitglied der Legionärsbewegung war. Sein Heiligsprechnungsverfahren – natürlich nur innerhalb der rumänisch – orthodoxen Kirche – läuft und es wird viel „Werbung“ für ihn auch landesweit gemacht. Kurz nach unserer Reise, im Oktober 2015 wurde er von der rumänisch – orthodoxen Kirche bereits als “heilig“ angesehen; dies kann nur als ein peinlicher Vorgang für diese Kirche angesehen werden. Skeptisch und fuhren wir weiter. Es erschien uns merkwürdig ausgerechnet diesen extremen Strömungen innerhalb der rumänisch – orthodoxen Kirche die Deutungshoheit für dieses traurige Kapitel der Zwangsarbeit am Kanal zu überlassen.

Einen Halt gab es beim neuen Denkmal bei Poarta Albă für die – heute alle dem Erdboden gleichgemachten – neun Zwangsarbeitslager am Kanal. Diese bestanden von 1949 bis 1955. Dieses beeindruckende Monument von neun aufeinandergestapelten großen Kreuzen, jeweils mit dem Namen eines der Lager, soll das Gedenken an die mehreren Zehntausend Zwangsarbeiter und die einige tausend Todesopfer des ersten fehlgeschlagenen Kanalbau – Versuchs wachhalten.

Die Stadt Medgidia, unser nächstes Ziel, ist eine ab 1856, noch zu osmanischer Zeit planmäßig angelegte Stadt die nach dem Reformsultan Abdülmecid I. benannt wurde. Zunächst wurden hier vor allem Türken und Tataren angesiedelt und bis heute gibt es starke Gruppen muslimischer Bevölkerung. Es gibt hier auch ein türkischsprachiges Gymnasium. Wir sahen den zentralen Decebal – Platz und die nahegelegene Abdul – Mecid – Moschee. Die Stadt wurde planmäßig an der Stelle des im 19. Jh. florierenden Getreidemarktes Karasu (Dt: Schwarzes Wasser) für Kriegsflüchtlinge von der Krim aufgebaut. Als günstig erwies sich die Lage auf halbem Wege zwischen der Donau und der Küste. Daher wurden hier grosse Baumaterialfirmen angesiedelt, die beim Bau des Kanal mitwirkten. Nachfolger davon ist die Firma Lafargue – Romcim, deren Zementfabrik die größte im Lande ist.

Danach waren wir zu Gast in der größten Weinkellerei des Landes: Murfatlar. Herr Domnaru führte uns auf dem früher staatlichen und immer noch sehr großen Weingut Murfatlar im Verwaltungs- und Verarbeitungsgebäude durch die kleine, sehr gut gestaltete Ausstellung zur Geschichte des Weines in dieser Region. Anschließend gab es eine Führung durch die moderne Verarbeitungsanlage. 3.000 ha werden hier kultiviert, überwiegend Weißwein produziert. Daran schloss sich eine Weinverkostung mit köstlichen Tropfen an, die einen Einblick in die Geschmacksvielfalt der hier produzierten Weine Weiß-, Rosé- und Rotweine ermöglichte. Das Land ist der sechstgrößte Weinproduzent der EU.

Der vorletzte Tag, ein schöner Früherbstsonntag, war mit Spannung erwartet worden: der Besuch von Balcic / Baltschik an der bulgarischen Küste, der in diesem Abschnitt sogenannten Silberküste. Balcic erwies sich als ein ganz besonderes Juwel am Schwarzen Meer. Ab 1924 durch die rumänische Königin Maria (1875 – 1938; Königin von 1914 – 1927, Frau von Kg. Ferdinand, Mutter von Carol II.) entworfen und nach und nach angelegt und erweitert, entstand ein ausgedehntes Garten- und Parkareal mit üppiger Vegetation vielen Gebäuden und dem kleinen Palast der Königin mit Pseudominarett. Alles ist bestens erhalten und wird aufwändig gepflegt. Museen, Cafés und Restaurants sind jetzt in den Gebäuden untergebracht. Stundenlang durchwanderten wir die einzigartige und sehr gut besuchte herrliche Anlage.

Anschließend sahen wir das Kap Kaliakra, eine weit ins Meer vorgeschobene Halbinsel (Bulgar.: Nos, Dt.: Nase) mit bis zu 60 m abfallender Felsküste. Dadurch ergibt sich ein herausragendes Landschaftsbild. Seit dem 4 Jh. v. Chr. wurde das Kap zunächst von den Thrakern, dann von allen darauffolgenden Reichen festungsmäßig ausgebaut. Hier vor der Steilküste fand eine große Seeschlacht statt, in der die russische Flotte unter General Uschakow die osmanischen Schiffe 1791 schlug. Ein Denkmal wurde für Uschakow errichtet.

Am Montag verliessen wir Constanţa in Richtung Bukarest. In Adamclisi sahen wir das in Originalgröße von 40 m in der nationalkommunistischen Zeit wiederaufgebaute Tropaeum Traiani, Kaiser Traians Siegesdenkmal für den römischen Sieg in den Dakerkriegen (105/ 106). Ein mächtiges, weithin sichtbares Monument damals römischer Herrschaft an der Unteren Donau. Sehr viele aufwändig und mit vielen Details verzierte Originalteile – zumeist Reliefs – des reichgeschmückten Monuments sind im nahegelegenen Museum untergebracht.

In Ostrov verliessen wir mit der Donaufähre die Dobrudscha an ihrem westlichsten Punkt. Die Überfahrt verläuft schräg vorbei an der größeren bulgarischen Stadt Silistra.

Am Abreisetag hatten wir in Bukarest noch Zeit das neuere Holocaust – Denkmal an der Dâmboviţa in innerstädtischer Lage aufzusuchen. Von Otopeni verliessen wir dann Rumänien mit vielen neuen Eindrücken. Trotz einiger Verbesserungen in einzelnen Bereichen erscheint eine umfassende Stabilisierung des Landes insgesamt noch nicht in Sicht zu sein. Die Dobrudscha macht da keine Ausnahme, bleibt aber aufgrund vieler Erlebnisse und oft wunderschöner Landschaften und freundlicher Einwohner in guter Erinnerung.