Selbst in ländlichen, traditionell orientierten Gegenden Südosteuropas sind Trachten schon lange nicht mehr die tägliche „Volkskleidung“. Die Tracht als ein Kleidungsstück, das die Ordnung einer Gesellschaft widerspiegelt, ist mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der letzten Jahrzehnte aus der Mode gekommen. Noch vor dem 2. Weltkrieg war im Karpatenbecken genau festgelegt, welche Hauben, Hüte, Röcke, Hosen und Accessoires wer wann wo tragen durfte. An der Kleidung ließen sich soziale Stellung, Alter, Geschlecht, Familienstand, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, manchmal auch die Religionszugehörigkeit, ablesen. Die Tracht gab Auskunft über Region und Nationalität. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Trachten verändert, wie jede Kleidung. Zeitgeist, Politik, Migrationbewegung, aber auch technische Entwicklung, Industrialisierung und Globalisierung spiegeln sich in den Trachten genauso wider wie aktuelle Modetendenzen.
Trachten sind mittlerweile kostbare Objekte, die in Museen aufbewahrt werden oder in Privatsammlungen wie der von Judit Pompery, die auf die Frage, was sie motiviert, antwortet: “Meine Sammelleidenschaft hat meine Betrachtungsweise verändert: Man erkennt plötzlich geschichtliche, geografische, soziografische Zusammenhänge. Mit großer Überraschung habe ich festgestellt, dass die Bevölkerung des Karpatenbeckens aus vielen ethnischen Minderheiten besteht, und zwar nicht nur in den Grenzgebieten der jeweiligen Länder. Dies spiegelt sich auch in den Trachten wider und bringt einen unglaublichen Formenreichtum.“
Referentin:
Judit Pompery stammt aus Ungarn und studierte in Budapest Wirtschaftswissenschaften. Seit 1975 lebt sie in Berlin. Sie ist als Unternehmerin im Handelsbereich tätig. Ihre berühmte Sammlung rumänischer Trachten sowie ungarischer, slowenischer, serbischer, kroatischer und anderer Minderheiten im Karpatenbecken umfasst rund 1.300 Einzelstücke.